Digitale Angebote für Eltern und Angehörige

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Highlights - Das Wichtigste in Kürze:

 

  • In der Behandlung von Kindern und Jugendlichen spielen die Eltern eine entscheidende Rolle. Digitale Angebote können ihnen dabei helfen, ihre Kinder während und nach der Therapie bestmöglich zu unterstützen.

  • Eltern und Angehörige können durch die Essstörungen z.B. des Kindes auch selbst belastet werden. Erlebte Hilflosigkeit, mangelndes Verständnis, Sorgen um die Gesundheit der Betroffenen, aber auch Schuldgefühle können die Eltern und Angehörigen zusätzlich unter Druck setzen und den gemeinsamen Alltag erschweren. Hier können digitale Anwendungen den Eltern und Angehörigen psychosoziale Hilfestellung geben und die Belastung lindern.

 

➦ Digitale Angebote für Eltern und Angehörige einer essstörungsbetroffenen Person können dabei helfen, diese im Umgang mit der betroffenen Person zu unterstützen, aber auch selbst erlebte Belastungen, wie z.B. Ängste und Depressionen, zu lindern.1 Derzeit sind keine wissenschaftlich evaluierten Programme auf dem deutschen Markt verfügbar.

 

1. Allgemeine Informationen (Begriffe, Definition, Potenzial, mögliche Einsatzbereiche):

Neben den Möglichkeiten, die digitale Angebote in den Bereichen der Prävention, der Therapie-Begleitung, des Selbstmanagements und der Nachsorge bieten, können sie auch Eltern und Angehörige unterstützen. Eine Anwendungsmöglichkeit besteht darin, Eltern und Angehörigen Hilfestellungen und Psychoedukation für den Umgang mit ihren betroffenen Familienmitgliedern oder Freunden zur Verfügung zu stellen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Eltern und Angehörigen selbst psychosoziale Hilfe über digitale Angebote zu bieten. Denn nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Angehörige können durch die Essstörung belastet werden. Gerade das Essen hat innerhalb der Familie einen wichtigen Stellenwert, so wird das Abendessen teilweise als einzige familiäre Tätigkeit am Tag genutzt, um sich miteinander abzusprechen und auszutauschen. Probleme im Umgang mit Essen oder Essgewohnheiten können so auch das ganze Familienleben beeinflussen und täglich neu auf die Probe stellen. Um die Betroffenen nicht in ihrer Essstörung unbeabsichtigt zu bestärken oder unter Druck zu setzen, bieten sich neben familientherapeutischen Maßnahmen auch digitale Angebote an, die den Umgang miteinander verbessern können.

 

2. Evidenz/ Beispiele aus der Forschung

Wie in den Bereichen der Prävention, der Therapie-Begleitung, des Selbstmanagements und der Nachsorge sind auch digitale Angebote für Eltern und Angehörige kaum verfügbar oder in Deutschland evaluiert. Drei Studien, die sich mit digitalen Angeboten für Eltern und ihre Kinder beschäftigten, werden im Folgenden kurz vorgestellt:

 

  • Therapiebegleitung für Eltern2: Entlastung und hilfreiche Stütze bei der Anwendung konventionell-therapeutischer Prinzipien für Eltern

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    Ziel: Durchführbarkeit und Akzeptanz einer digitalen Chat-Support-Gruppe für Eltern, die eine familienbasierte Behandlung durchführen, zu untersuchen.

    Methode: Stichprobe aus 13 Eltern von Jugendlichen, die eine Essstörung haben. Durchgeführt wurden 15 wöchentliche, von Therapeut*innen geleitete Online-Chat-Sitzungen. Schwerpunkt der Sitzungen war die Ermutigung und Unterstützung der Eltern, ihrem Kind bei der Überwindung der Essstörung zu helfen.

    Ergebnisse: Eltern fühlten sich durch die Intervention entlastet und erlebten die Intervention als eine hilfreiche Unterstützung bei der Implementierung der in der Familientherapie erlernten Prinzipien im Familienalltag.

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  • Therapiebegleitung für Eltern, SUCCEAT (Supporting Carers of Children and Adolescents with Eating Disorders)3,4: Reduktion elterliche Belastung und Stärkung elterlicher Kompetenz

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    Ziel: Untersuchung der Wirksamkeit und Durchführbarkeit des Workshops „Supporting Carers of Children and Adolescents with Eating Disorders in Austria" (SUCCEAT) im Vergleich zu einer Online-Intervention.

    Methode: Stichprobe aus Eltern von 102 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 19 Jahren mit Anorexie. Während bei den Kindern und Jugendlichen eine Essstörungsbehandlung durchgeführt wurde, nahmen die Eltern an einem Skills-Training basierend auf einem kognitiv-interpersonellen Modell teil. Das Skills-Training wurde entweder im Workshopformat oder online vermittelt. Die Zuteilung in die Gruppen (Online-Version, Workshop und Kontrollgruppe) erfolgte über das Zufallsprinzip. Primäre (General Health Questionnaire) und sekundäre Ergebnisse wurden bei Studienbeginn, nach 3 und nach 12 Monaten erhoben.

    Ergebnisse: Die Elternintervention führte in beiden Formaten zu einer Reduktion der elterlichen Belastung und zur Verbesserung der elterlichen Kompetenz im Umgang mit der Anorexie ihrer Kinder3 sowie zu einem verbesserten Behandlungsergebnis seitens der Kinder4.

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  • Selbstmanagement für Eltern5:

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    Ziel: Untersuchung der Durchführbarkeit, Akzeptanz und vorläufigen Behandlungseffekte einer elterlich geführten Selbsthilfeversion der familienbasierten Behandlung für Jugendliche mit Anorexia Nervosa. Ausschließlich digitale Intervention für Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Anorexie.

    Methode: Stichprobe aus 19 Familien mit Anorexie-betroffenen Jugendlichen im Alter von 11 bis 18 Jahren. Eltern nahmen 6 Monate an einem familientherapeutisch basierten Online-Selbstmanagementprogramm inklusive regelmäßigen therapeutischen Kontakten teil.

    Ergebnisse: Lieferte erste Hinweise auf die Wirksamkeit der Intervention hinsichtlich der Zunahme des BMIs der Kinder und Jugendlichen und eine Reduktion essstörungsbezogener Beeinträchtigungen bei den Kindern und Jugendlichen.

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  • Prävention für Eltern6: Studienabbruch durch hohen Dropout

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    Ziel: Untersuchung der Wirksamkeit eines indizierten, eltern- und webbasierten Präventionsprogramms „Eltern als Therapeuten“ (E@T) in Bezug auf die Reduzierung von Risikofaktoren und Symptomen der Anorexia Nervosa.

    Methode: Stichprobe aus großangelegtem schulbasiertem Screening. Es nahmen 66 Familien, in denen Mädchen zwischen 11 und 18 Jahren ein erhöhtes Risiko für oder erste Anzeichen einer Anorexie aufwiesen, an der Studie teil. Randomisierte und kontrollierte Studie mit einer Nachuntersuchung und einer 12-Monats-Follow-Up Untersuchung.

    Ergebnisse: Aufgrund der geringen Teilnahme und der hohen Dropout-Rate wurde die Studie vorzeitig beendet, sodass die Autor*innen von einem geringen Potenzial von elternbasierten digitalen Präventionsansätzen ausgehen.

 

3. Fazit und Empfehlungen

Digitale Angebote für Eltern und Angehörige als Therapie-Begleitung können einen positiven Einfluss auf die Verringerung der elterlichen Belastung und auf die Reduzierung der essstörungsbezogenen Symptome bei den Kindern und Jugendlichen haben. Dies sollte aber im Einzelfall geprüft werden, denn eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen und die positiven Effekte ist eine gute Vertrauensbasis innerhalb der Familie. Digitale Angebote für Eltern und Angehörige in den Bereichen der Prävention und Frühintervention hingegen scheinen auf wenig Zuspruch seitens der Eltern zu stoßen, vielleicht auch, weil noch kein akuter Handlungsbedarf ersichtlich wurde.

 

Referenzen:

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1Bauer, S. et al. (2015). Internetbasierte Prävention und Behandlung. In B. Herpertz-Dahlmann & A. Hilbert (Hrsg.), Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen, S. 185-200, Kohlhammer.

2Binford-Hopf, R.B. et al. (2013). Internet-based chat support groups for parents in family-based treatment for adolescent eating disorders. A pilot study. European Eating Disorder Review, 21(3), 215/223. https://doi.org./10.1002/erv.2196

3Truttmann, S. et al. (2020). Longterm efficacy oft the workshop vs. online SUCCEAT (Supporting Carers of Children and Adolescents with Eating Disorders) Intervention for parents: a quasi-randomised feasibility trial. J Clin Med, 9(6), 1912. https://doi.org./10.3390/jcm9061912

4Philipp, J. et al. (2021). Does a skills intervention for parents have a positive impact on adolescents’ anorexia nervosa outcome? Answers from a quasi-randomised feasibility trial of SUCCEAT. Int J Environ Res and Public Health, 18(9), 4656. https://doi.org./10.3390/ijerph18094656

5Lock, J. et al. (2017). Parental guided self-help family based treatment for adolescents with anorexia nervosa: A feasibility study. Int J Eat Disord, 50(9). 1104/1108. https://doi.org./10.1002/eat.22733

6Jacobi, C. et al. (2018). Efficacy of a parent-based, indicated prevention for anorexia nervosa: randomized controlled trial. J Med Internet Res, 20(12), e296. https://doi.org./10.2196/jmir.9464


SIDA-ESS Toolkit

Dieses Toolkit richtet sich an Behandelnde von Essstörungen und wird im Rahmen des Projektes SIDA-ESS weiterentwickelt und evaluiert. SIDA-ESS steht für Strategien zur Integration von evidenzbasierten digitalen Angeboten in die Behandlung von Essstörungen und ist ein vom Bundesministerium für Gesundheit gefördertes Projekt.

 

 

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